DAS IST GUT GEMEINT
ABER WIRKUNGSLOS
Silke Westphal wurde 1967 geboren und wuchs in Salzgitter-Thiede auf, in unmittelbarer Nähe zum Schacht KONRAD. Bereits aus ihrem Kinderzimmerfenster konnte sie den Förderturm des Schachts sehen. Wie sie erfuhr, dass es sich dabei um ein Atommülllager handeln sollte, ist ihr nicht mehr genau in Erinnerung. In den 1980er-Jahren, lange vor der Verbreitung des Internets, prägten vor allem Plakate, Aufrufe zu Demonstrationen sowie besprühte Hauswände und Transparente das öffentliche Bild. Über diese Mobilisierungsmittel erfuhr sie, dass Atommüll in ihrer Region unter der Erde gelagert werden sollte. Schon früh nahm sie die Kritik an diesem Projekt wahr und erfuhr von der AG Schacht KONRAD, einer Bürgerinitiative, die sich seit den späten 1980er-Jahren gegen das Vorhaben engagiert. Die Aktivitäten dieser Gruppe und das Thema Atommüll prägten ihr Bewusstsein und weckten ihr Interesse für politische und gesellschaftliche Fragestellungen in ihrer Heimat.
Was sind deine Aufgaben bei der Arbeitsgemeinschaft?
Ach, die sind ganz vielfältig. Ich glaube, die Aufgabe, die am meisten nach außen bekannt ist, ist, dass ich mit zum Vorstand der Arbeitsgemeinschaft gehöre. Wir sind ein fünfköpfiger Vorstand und ich bin seit 2010, mit einem Jahr Unterbrechung, dabei. Und dann haben wir in der Arbeitsgemeinschaft verschiedene Schwerpunkte. Das heißt wir haben Fachgruppen – wir haben eine Fachgruppe Schacht KONRAD, wir haben eine Fachgruppe Asse, wir hatten auch mal eine Fachgruppe Bundespolitik, die zur Zeit nicht aktiv ist. Mein inhaltlicher Schwerpunkt war in den letzten Jahren die Asse und ich habe da sehr viel zu gearbeitet. Ja, was mache ich sonst in der AG? Ich kümmere mich um Informationen, ich bin mit Steffi zusammen auf Infoständen, wo wir dann mit Infomaterial vor Ort sind und mit den Leuten reden. Ich schreibe Texte für unsere Homepage, für unsere Publikationen. Ich suche auch immer mal das eine oder andere Bildchen raus, kümmere mich ums Design. Ich schreibe Protokolle von unseren Sitzungen und – ja, ich habe sehr, sehr viele bundesweite Kontakte in die Antiatomszene. Das liegt daran, dass ich seit dem Anfang der Neunziger Jahre die Auseinandersetzung um Gorleben und die Castortransporte verfolgt habe. Seit 1994 bin ich auch jedes Mal, wenn so ein Atomtransport kam, im Wendland gewesen und habe mich gemeinsam mit anderen dagegen gewehrt. Insgesamt 13-mal, glaube ich, und dort habe ich sehr viele Leute aus dem ganzen Bundesgebiet kennengelernt, die sich zentral in Gorleben, im Wendland, getroffen haben. Und diese Kontakte, die es jetzt seit fast 30 Jahren gibt, sind sehr, sehr nützlich für Netzwerkarbeit. Also ich weiß immer, wen ich ansprechen kann, in Berlin, in Hamburg, in Karlsruhe, in München, in Köln, im Emsland – viele von dort kenne ich persönlich.
Welche Erfahrungen konntest du bisher bei den Infoständen und der Kommunikation mit den Leuten sammeln?
Also es gibt ganz klassische Veranstaltungen, wo wir jedes Jahr dabei sind. Da gehört zum Beispiel der 1. Mai dazu, wenn die Gewerkschaftskundgebungen und die Maifeste sind. Das sind ja politische Veranstaltungen und ein Teil davon sind immer wir. Dann gibt es verschiedene Events, die eigentlich jedes Jahr stattfinden, also ein Hoffest vom Biohof oder ein Fest in einem neuen Windpark von einem Unternehmen, das bei uns Mitglied ist oder verschiedene Veranstaltungen, die einfach regelmäßig in der Anti-Atom-Szene laufen. Da versuchen wir jedes Mal dabei zu sein. Wir haben einen gut sortierten Infotisch mit einem Pavillon und sind da auch recht professionell aufgestellt. Da können sich die Leute dann kostenlos Infomaterial abholen. Man kriegt von uns auch Aufkleber, Buttons und all diese Sachen, die man vielleicht auch braucht, um zu zeigen, dass man gegen die Atomkraft unterwegs ist. Genau und wie laufen diese Infotische ab? Das hängt stark davon ab, wo du bist. Also wenn du in einer Lokalität bist, die sowieso etwas mit dem Thema zu tun hat, wie zum Beispiel auf dem Umweltmarkt in Wolfenbüttel, dann hast du dort auch ein interessiertes Publikum. Die kommen dann auf uns zu und fragen: “Ach, was ist denn aktuell jetzt überhaupt mit der Asse? Was ist denn aktuell jetzt mit Schacht KONRAD? Ist da immer noch kein Atommüll drin?” Und dort kommen wirklich auch konkrete Fragen und das macht dann auch Spaß, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen, sie aufzuklären. Das sind so die schönen Begegnungen, die uns dann auch wieder was zurückgeben, wo wir merken, das macht Sinn, dass wir da stehen. Es gibt aber auch die unangenehmen Erfahrungen. Das sind zum Beispiel die ewigen Nörgler. Die treffen wir dann eher mit unseren klassischen Fußgängerzonen-Info-Tischen. Das sind dann frustrierte Leute, die auf dich zukommen und sagen: “es hat doch eh alles keinen Sinn, was ihr da macht” oder “die machen doch eh mit uns, was sie wollen.” Und das ist schon ein bisschen anstrengend, zu versuchen, mit denen noch in ein fruchtbares Gespräch zu kommen.
Werden denn eure Forderungen und eure Informationen hinterfragt oder so angenommen?
Die Informationen, die wir geben, werden gerne als kritische Meinung aufgenommen. Spannender wird es eher auf Podiumsdiskussionen, wenn wir mit der sogenannten „Gegenseite“ argumentieren. Von der Betreiberseite oder aus der Politik – da kommt dann eher schon “Sie stellen das hier völlig falsch dar.” Aber das ist immer eine ganz, ganz spannende Frage, wer da was wie darstellt und welche Wahrheit wessen ist.
Und wie ist das Verhältnis zu der Presse? Fragen die bei euch auch mal an?
Theoretisch haben wir gute Kontakte zur Presse, machen aber keine aktive Medienarbeit. Wahrscheinlich einfach, weil wir dafür nicht genug Kapazitäten haben. Denn wie es gehen würde, wissen wir schon. Und wir haben auch wohlgesonnene Medien, die positiv über uns berichten, aktuell ist es aber allgemein recht schwer, mit dem Thema durchzukommen. Sicherlich spielt es zurzeit eine Rolle, dass andere Themen für die Menschheit wichtiger geworden sind, wie Krieg oder Inflation. Heute Nachmittag zum Beispiel habe ich damit angefangen, das Vorwort für unsere Jahresinfo zu schreiben. Und genau da habe ich auch reingeschrieben, dass es auf der einen Seite ein tolles Jahr gewesen ist, 2023, weil wir am 15. April die Abschaltung der letzten drei AKWs in Deutschland feiern konnten, aber andererseits bedeutet das auch, dass das Thema Atomkraft jetzt noch weiter in den Hintergrund rückt. Also, dass es noch weniger öffentliches Interesse für die Probleme und für die Hinterlassenschaften dieser Industrie gibt.
Meine erste Wahrnehmung von dem Thema Atomkraft war das Unglück in Fukushima. Damit war für mich die Atomkraft von Anfang an negativ konnotiert und daher wahrscheinlich auch schon damals mental ein Haken dahinter.
Das denke ich auch. Aber es ist interessant, weil bei mir war das, was dir mit Fukushima passiert ist, hat bei mir Tschernobyl ausgelöst. An dem Tag, wo der GAU in Tschernobyl durch die deutsche Medienlandschaft ging, also als es zum ersten Mal in der Tagesschau erwähnt wurde, war ich 19 Jahre und da war ich gerade im Thieder Schwimmbad. Ich hatte da mein DLRG-Training und hab dann, als ich rauskam aus den Umkleidekabinen, vorne in der Milchbar, den Fernseher gesehn und da kam das in den Nachrichten. Ich habe einen dermaßen großen Schreck bekommen, als ich gehört habe, was da passiert ist. Auf dem Fahrrad, auf dem nach Hause, habe ich gedacht: „Ojeh! Wer weiß, was das jetzt für uns bedeutet.“ Und dann ging das im Mai ja auch gleich los mit: „Lass die Kinder nicht draußen spielen. Zieht die Schuhe aus, bevor ihr ins Haus kommt.“ Unser Physiklehrer ist dann mit uns mit einem Geigerzähler rausgegangen und wir haben den Sportplatz knattern hören. Das war alles sehr, sehr bedrohlich und hat sicherlich bei mir auch eine ganz große Motivation ausgelöst, mich dagegen zu engagieren. Damals war ja noch nicht von der Abschaltung die Rede, sondern es wurde noch gebaut, gebaut, gebaut. Aber auf jeden Fall war das meine Initialzündung.
Was ist deine Erfahrung im Bezug auf die Kommunikation der Regierung mit der Bevölkerung?
Also der Widerstand, der im Wendland entstanden ist, der war schon was Besonderes. Ich weiß nicht, ob sich so etwas wiederholen lässt. Da ist so Vieles zusammengekommen. Was die Leute, glaube ich, wirklich auf die Straße gebracht hat, war: „Ihr wisst ja noch nicht einmal, ob der Salzstock in Gorleben geeignet ist, um Atommüll aufzunehmen.“ Also jetzt wissen wir, es ist raus aus dem Verfahren. Es wird nicht weiterverfolgt, dort Atommüll reinzubringen. Und genau das haben wir ja damals schon gehofft? Gewusst? Geahnt? Keine Ahnung. Warum bringen die dann den Atommüll da hin? Warum fahren sie Tausende von Kilometern, um diese hoch radioaktiven Abfälle dorthin, in eine Halle im Wald zu stellen? Das macht keinen Sinn. [...]
Kann man retrospektiv nun besser einschätzen, warum der Staat den Atommüll nach Gorleben verlegt hat?
Ja, das war eine politische Entscheidung. Es gab da zwar ein Standortvergleichsverfahren, darin waren mehrere Orte genannt, aber Gorleben tauchte da gar nicht drin auf. Das ist handschriftlich zu gefügt worden. Heute weiß man das alles – da ist auch viel zu geforscht worden. [...]
Wie werden die Entscheidungen heute getroffen? Welche Motivation lässt sich dahinter vermuten?
Spannende Frage! Also, wir haben ja jetzt ein Endlagersuchverfahren. Seit – oh, wie lange läuft das jetzt schon? – ich glaube, das ist auch schon 13 Jahre jetzt. Herr Röttgen, der war mal Umweltminister, und hat irgendwann gesagt: „So, wir fangen jetzt ganz von vorne an. [...]
Ist das eine Erklärung, warum nun die Bevölkerung versucht, eine angemessene Faktenlage zu schaffen oder schaffen zu lassen?
Wir sind die Betroffenen, oder? Wir machen uns da viele Sorgen und viele Gedanken und stecken da sehr viel Energie und sehr viel Lebenszeit rein und die Menschen auf den Politikersesseln und in den Behörden, wechseln alle paar Jahre.
Unter deinem Namen habe ich auch das Bündnis „Castor stoppen“ gefunden. Ist das eine Unternehmung von dir?
Nee, “Castor stoppen” ist eine Kampagne gewesen. Also der Begriff taucht mehrfach auf. Einmal gab es den Begriff natürlich bei den Castortransporten in das Wendland und dann ist der vor drei Jahren, 2020, nochmal aufgetaucht, weil noch Castortransporte aus dem Ausland nach Deutschland zurückkommen. Es sind aus den deutschen Atomkraftwerken abgebrannte Brennelemente in die sogenannten Wiederaufarbeitungsanlagen nach La Hague in Frankreich und nach Sellafield in England gebracht worden – so im Laufe der Betriebszeit der AKWs. Diese sogenannten Wiederaufarbeitungsanlagen ziehen aus diesen Brennelementen waffenfähiges Material, schicken es weiter, damit Atombomben draus gebaut werden können und die Reste gehen dann wieder zurück an diejenigen, die die Brennelemente geschickt haben. Und ein solcher Castortransport aus Sellafield ist im November 2020 nochmal angekündigt worden, mit dem Bestimmungsort Castor-Halle in Biblis bei Darmstadt. Da habe ich mich eben auch gegen diesen Transport engagiert und war da auch so etwas wie eine Pressesprecherin vor Ort. Der kam übers Meer, ist mit dem Schiff gekommen und ist in Nordenham angelandet. Da war ich mit ein paar anderen Aktivistinnen und Aktivisten in Nordenham vor Ort und wir haben gehofft, dass wir da einen großen Protest hinbekommen und vielleicht auch eine Blockade dieses Transportes. Das Blöde ist, dass das Ganze am 01.11.2020 passiert ist und vielleicht erinnerst du dich: Ab dem 01.11.2020 hatten wir den ersten Corona-Lockdown. Ganz viele Leute haben sich dann gar nicht mehr auf die Straße getraut. Das heißt, wir standen da mit unseren hochgehaltenen Fahnen, sehr symbolisch, mit einigen wenigen Leuten. Aber immerhin hatten wir die Aufmerksamkeit für diesen Transport. Der war nämlich genauso sinnlos mit seinem Zielort – dieser Transport steht jetzt in Biblis in einer Castor-Halle, die überhaupt keine Reparaturmöglichkeiten hat. Das bedeutet, wenn da jetzt irgendetwas passiert, wenn da eine Undichtigkeit auftaucht oder es irgendwelche chemischen Prozesse gibt, besteht vor Ort in Biblis überhaupt keine Möglichkeit, das Ding aufzumachen, zu reparieren, rein zu gucken und so weiter. Und ja, das war halt auch der Grund, dass ganz viele Leute gesagt haben, der Transport darf da nicht hinfahren. Aber in Sellafield hätte er auch nicht sicher gestanden. Das ist immer diese große Frage: „Aber wohin soll es denn?“
Warum dann überhaupt gegen die Castortransporte demonstrieren, wenn die fragliche Ware schon auf dem Weg ist?
Wenn sie zu einem Ort transportiert werden, der keinen Sinn macht. Das ist eine sinnlose Verschiebung und Bewegung von Atommüll, die zusätzliche Gefahren mit sich bringt. Denn auf jedem Transport kann etwas passieren. Also bewegter Atommüll ist noch gefährlicher als unbewegter. Aber ich wäre jetzt die Letzte, die sich vor eine havarierte Atomanlage setzt, aus der Atommüll raus muss, wie zum Beispiel aus der Asse. Da will ich mich nicht davor setzen und sagen: „Da darf kein Atomtransport fahren!“ – und da würde ich auch niemanden finden, der da mitmacht. Aber wenn es tatsächlich an einen Ort gebracht wird, der keinen Sinn macht. Und das ist das große Problem, dass die Bundesregierung überhaupt kein Konzept hat, wo bundesweit der ganze Atommüll eines Tages hin soll. Das Thema hatte ich ja gerade, dass es noch sehr, sehr lange dauern wird, bis dieser Standort feststeht und dass wir für den schwach- und mittelaktiven Müll, für Teile des schwach- und mittelaktiven Mülls, hier den Standort Schacht KONRAD benannt bekommen haben. Der aus unserer Sicht aber nicht geeignet ist. Also auch jeder Atomtransport der nach KONRAD kommen würde, wäre in meinen Augen sinnlos. Denn dann würde man das hier unter die Erde bringen und hätte wahrscheinlich in 40 Jahren die gleiche Situation, die man heute in der Asse hat.
Das wirkt so, als würde Demokratie in dem Kontext nur vorgetäuscht und was dann schlussendlich gemacht wird, kommt sehr willkürlich daher.
Da triffst du auch genau meine These. Das erste Mal, als ich gedacht habe, dass hier etwas nicht stimmt, war als ich mir den Zaun um das geplante Endlager in Gorleben angeguckt hatte. Da war um dieses Endlagergelände herum eine riesige Betonmauer, so wie in Berlin die Mauer. Also sie sah auch vom Design tatsächlich genauso aus und alle paar 100 Meter oder 50 Meter und an den Ecken von diesem Gelände waren oben so Wachposten-Häuschen und alles mit NATO-Draht umwickelt und mit Vorrichtungen für Waffen ausgestattet. Ich weiß nicht, ob das jetzt für Wasserwerfer war oder ob da tatsächlich auch im Notfall mit scharfer Munition geschossen worden wäre. Das steht heute alles nicht mehr. Das haben die alles abgebaut. Aber als ich das das erste Mal gesehen habe, habe ich gedacht: „Was ist denn hier los? Wieso müssen die dieses Projekt hier so scharf verteidigen, als wäre das ein Kriegsgebiet?“ Und diese Auseinandersetzungen im Wendland, waren ja wirklich sehr, sehr hart. Also es war auch in Brokdorf früher sehr hart und in Grohnde – das war aber vor meiner Zeit, da war ich selber nicht. Ich habe meine Erfahrungen mit dem „harten Atomstaat“, sagen wir mal, im Wendland gemacht. Da habe auch ich „auf die Mütze gekriegt“ und zum Glück ist nie irgendwas Schlimmes geblieben. Alles nur Schrammen, Beulen und so was, alles wieder verheilt. Ich habe aber auch Freunde, die da ein Augenlicht verloren haben, Knie kaputt vom Knüppel oder sonst irgendwas, die ihr Leben lang eine „schöne Erinnerung mitgebracht“ haben. Das war tatsächlich brutal, wie der Staat dort gegen die Leute, die protestiert haben, vorgegangen ist. Daraus haben die gelernt, dass sie das nicht mehr wollen, dass sie diese Bilder nicht wollen und versuchen das heute, als – ich sage dazu – „weicher Atomstaat“: „Wir reden mit euch darüber, wir hören eure Bedenken an, wir informieren euch über unsere Projekte, wir informieren euch ganz früh, wir machen eine ganz frühe Bürgerbeteiligung und bleiben mit euch im Dialog. Das, was hinterher rauskommt, ist aber genau das Gleiche. Und von daher sage ich, in Sachen Demokratie gibt es da noch eine ganze Menge zu lernen. Das betrifft genauso diesen Endlagersuchprozess, der groß angekündigt wurde mit: „Hier wird die ganze Bevölkerung beteiligt.“ Wer bitteschön weiß denn von diesem Prozess, außer von uns einigen wenigen, die sich inhaltlich damit beschäftigen? Kriegst du das irgendwo mit? Kommt das mal als Thema in einer Talkshow oder gibt es darüber mal eine Sendung, eine Reportage? Nix, oder? Also ich glaube, das ist eine Feigenblatt-Diskussion. Da wird dann hinterher gesagt: „Ihr hattet ja die Chance. Wir haben euch ja beteiligt.“ Letztendlich wird dann voraussichtlich eher wieder nach monetären Kriterien bestimmt, was dann tatsächlich die Lösung sein soll.
Welche Lehre schließt ihr dann daraus? Wie sollte man dann mit dem Staat kommunizieren?
Das ist eine ganz schwere Frage. Ich kann eigentlich immer nur darauf hinweisen, dass der Staat seinen Aufgaben nicht gerecht wird. Ebenso die Bundestagsabgeordneten. Das sind gewählte Volksvertreterinnen und Vertreter, die haben den Willen des Volkes im Bundestag umzusetzen. Das tun sie aber nicht mehr. Schon lange nicht mehr. Ich weiß gar nicht, ob sie es jemals getan haben. Da ist so eine „Blase von Menschen“, die über die Parteien in diese Ämter kommen, die eigentlich nur noch untereinander sprechen und nicht mehr mit den Leuten, von denen sie gewählt werden wollen. Die meisten, nicht alle, aber die meisten.
Wenn ich das alles kurz sammel, dann steht die Regierung hier nun vor einem Problem, für das dringend eine Lösung her muss, die gewählte aber unüberlegt ist und scheinbar auch nicht funktioniert.
Genau. Als Schacht KONRAD geplant wurde, gab es ja auch ein Planfeststellungsverfahren, wo der Betreiber darstellen sollte, wie er sich das alles vorstellt. Dabei war davon die Rede, dass die Abfälle von den Anlieferern, also von den Atomanlagen, Forschungseinrichtungen, den abgerissenen Atomkraftwerken und so weiter, „just in time“ hier ankommen. Es gibt aber auch Annahmekriterien für ein Endlager. Diese Container, in die der Atommüll nachher kommt, müssen nach bestimmten Kriterien zusammengesetzt werden. Und daraus ergibt sich einfach ein logistisches Problem. Das so zu koordinieren, dass die Ablieferer dann abliefern, wenn die Annahmekriterien vom Endlager das gerade erfordern, klappt wohl nicht. Sie haben dann selber gemerkt, dass das, was sie ursprünglich als Plan hatten, gar nicht geht. Deshalb kam diese Idee von dem Abfall-Zwischenlager. Ja, und jetzt wäre das ja relativ logisch, wenn man das direkt vor das Endlager baut und eine große Halle errichtet und sagt: „So, und hier stellen wir dann unsere Margen zusammen und wenn die Annahmekriterien erfüllt sind, dann bringen wir den Container runter.“ Wenn die das jetzt aber hier bei Schacht KONRAD errichten, dann ist das eine sehr, sehr wesentliche Veränderung ihres ursprünglichen Plans. Denn in dem festgestellten Plan ist dieses Logistikzentrum nicht vorgesehen gewesen und deshalb können die das nicht hier vor Ort bauen. Dann müssten die ihre Planunterlagen nochmal einreichen und wir sind uns alle ziemlich sicher, wenn man im Jahre 2023 oder 2024 nochmal ein Planfeststellungsverfahren für KONRAD machen würde, würde das durchfallen. Das wäre das Aus für KONRAD. Deshalb machen die das nicht hier. Und dann gab es jetzt jahrelang Rätselraten darum, wo das denn hinkommt. Irgendwann kam man dann auf die Schnapsidee, das im Weserbogen bei Würgassen, wo früher mal ein Atomkraftwerk stand, unterzubringen – totaler logistischer Schwachsinn. Also das Weserbergland hat sehr kurvige und enge Straßen, es hat viel zu wenig Schienenanschlüsse und Würgassen liegt auch noch in diesem Weserbogen, der wirklich prädestiniert dafür ist, dass bei Starkregen Überflutungen drohen. Dagegen sind ja auch Leute aktiv geworden und jetzt gibt es gerade eine heiße Diskussion darum, ob man dieses Logistikzentrum braucht, um Schacht KONRAD in Betrieb zu nehmen. Das sehen auch verschiedene Kräfte in Politik und Industrie sehr, sehr unterschiedlich.
Das ist also so schon eine blöde Idee und dann wird nochmal einer draufgesetzt?
Ja, und das Interessante an der Sache, da arbeiten wir als AG Schacht KONRAD ganz intensiv dran, ist: Dieser Plan, wie das Endlager in Schacht KONRAD funktionieren soll, der ist uralt, der ist aus den 80er Jahren. Mittlerweile weiß man sehr viel mehr über Bergbau, Atommüll, Strahlung und Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Stoffen. Man hat ja in diesem halben Jahrhundert auch dazugelernt. Und wir haben auch das schlechte Beispiel mit der Asse und mit Morsleben direkt vor der Tür. Wir sind uns sicher, dass dieser Planfeststellungsbeschluss, wenn man heute mit Vernunft und Verstand ran geht, nicht mehr zu halten ist. Dass man diesen Plan nicht mehr durchführen darf, weil man heute einfach klüger geworden ist. Und das ist auch das, was wir immer kommunizieren mit: Schacht KONRAD entspricht nicht dem Stand von Wissenschaft und Technik. Es gibt ja eine Instanz, die so etwas entscheiden kann. Atomaufsicht ist ja Ländersache. Das heißt, für Schacht KONRAD in Niedersachsen ist es das Umweltministerium in Hannover, das die Atomaufsicht hat. Das spielt im Moment noch nicht so eine große Rolle, weil im Moment ja noch nichts im Betrieb ist, aber wir haben vor jetzt fast zweieinhalb Jahren zusammen mit zwei großen Umweltverbänden, mit der Gewerkschaft und mit der Stadt Salzgitter einen Antrag beim Ministerium eingereicht. Damals war das noch Umweltminister Lies, der den entgegengenommen hat. Dort haben wir einen Antrag eingereicht, dass die Atomaufsicht doch bitte jetzt diesen Planfeststellungsbeschluss vernünftig prüfen möge und gegebenenfalls zu der Entscheidung kommen soll, dass der zurückgenommen oder widerrufen werden kann. Und dann hatten wir einen Regierungswechsel in Niedersachsen. Seit letztem Oktober haben wir einen neuen Umweltminister, Christian Meyer von den Grünen, und der hat auf Nachfrage, wann über unseren Antrag entschieden wird, deutlich kommuniziert, bis zum Jahresende. Nun, das Jahresende rückt ja jetzt grad verdammt nah. Sechs Wochen sind es noch. Daher arbeiten wir gerade mit Hochdruck daran, diese Entscheidung entgegenzunehmen.
Dabei geht es ja auch um Transparenz. Wie seht ihr das denn, wenn die Regierung zum Beispiel aus Sicherheitsgründen Informationen vorenthalten möchte, beispielsweise bei Castortransporten?
Das wird ja auch geheim gehalten. Es ist ja nicht so, dass jetzt die Transportfirma ihre Fahrpläne veröffentlicht; die versuchen, das geheim zu halten. Es gab sogar im Zusammenhang mit der Diskussion um die Asse-Rückholung von der Betreibergesellschaft, von der BGE, neulich auch eine Äußerung, dass es Grenzen der Beteiligung, der Transparenz, geben muss. Die haben immer große Angst davor, dass waffenfähiges Material verschwindet oder Atomanlagen zu Terrorzielen werden. Daher gibt es von Seiten des Staates schon einen Wunsch nach Geheimhaltung. Aber es gibt Dinge, die kannst du einfach nicht verheimlichen. Also so ein Castortransport ist ja jetzt auch kein Bobbycar.
Ist dieses Argument der Sicherheit denn gerechtfertigt?
Das ist wie mit vielem, was als Gesetz so festgeschrieben ist – das ist gut gemeint, aber wirkungslos. Wenn jemand tatsächlich einen Anschlag auf eine Atomanlage vorhat, wenn jemand das wirklich machen will, hat er auch seine Mittel und seine Quellen, die er sich dann einfach kauft, um das rauszubekommen. Da hilft auch ein Gesetz nicht.
Sollte die Bevölkerung denn transparent über die Castortransporte informiert sein?
Ja, natürlich, sie soll sich ja schützen können. Sie soll ja wissen, wann sie vielleicht gerade nicht auf diesem Bahnsteig stehen soll, weil da demnächst eine hoch radioaktive Fracht durchfährt.
Wie gefährlich sind die Transporte denn? Gab es schon mal Unfälle?
Im Hamburger Hafen hat mal ein Atom-Schiff gebrannt, als da gerade eine große öffentliche Veranstaltung war (Kirchentag). Unfälle mit Atomtransporten passieren auch immer wieder mal. Das Problem ist, dass diejenigen, die sich dann darum kümmern müssen, Feuerwehr und ABC-Schutz, einfach ein Riesenproblem damit haben, weil sie dafür nicht wirklich ausgerüstet und nicht ausgebildet sind. Ich habe vorhin gesagt: Bewegter Atommüll ist gefährlicher als unbewegter. Und jede Strahlung, die dein Körper zusätzlich abbekommt, summiert sich. Es ist jetzt auch echt egal, ob das vom Flug in großer Höhe ist, ob das von der Zigarette kommt, von einer Röntgenuntersuchung oder von einem Atomtransport, an dem du gerade dummerweise zu nah dran standest. Da ist einfach jede Dosis zu viel. Es ist auch in jedem Körper anders, wann er darauf reagiert. Manche Leute kriegen vielleicht sehr jung davon eine Krebserkrankung und manche werden damit vielleicht 100 Jahre alt. Unser Ziel ist es einfach, die Strahlenbelastung für die Bevölkerung so weit wie es geht zu minimieren und dafür zu sorgen, dass das, was nicht notwendig ist, unterlassen wird.
Im Kontext dessen, wie der Staat bisher seine Entscheidungen im Bezug auf Endlagerung umgesetzt hat – wie lässt sich die Gewalt durch den Staat bewerten?
Es ist ja so, dass die Polizei immer das durchsetzen muss, was die Regierung sich ausgedacht hat. Und es hat auch, glaube ich, den meisten Polizeikräften im Wendland keinen großen Spaß gemacht, Leute zu verprügeln. Aber das ist dann halt der Einsatzbefehl. Und dann machst du deinen Job. Diejenigen, die etwas entscheiden, die über den Kopf der Bevölkerung hinweg eine Entscheidung in Bezug auf Atomkraft treffen, sind ja dann, wenn es durchgesetzt wird, nicht dabei. Die stehen da ja nicht selber und verteidigen das, sondern die haben im Rahmen der Gewaltenteilung eben die Polizei und als dritte Instanz die Justiz, welche das einfach verteidigt, was die Regierung für richtig hält.
Dann würde mehr Demokratie im Voraus ja sicherlich bedeuten, dass man später die Entscheidungen nicht so gewaltsam verteidigen müsste.
Wenn man den demokratischen Ansatz wirklich ernst nehmen würde und die Bevölkerung tatsächlich bei der Entscheidung beteiligen würde. Also keine Scheinbeteiligung: „Wir hören euch mal an und wir informieren euch“, sondern „wir nehmen eure Argumente ernst, wir prüfen sie, wir versuchen das, was ihr hier sagt, was ihr hier einwendet, zu berücksichtigen bei unserer Planung.“ Wenn man als Bürgerin dieses Staates das Gefühl hätte, dass sie einen auch mitnehmen in der Entscheidung, dann wäre wahrscheinlich auch der Protest nicht so massiv. Also so die Konfrontation, die geht ja jetzt nicht per se von der betroffenen Bevölkerung aus.
Ist denn die Endlagerung in Deutschland überhaupt möglich?
Muss ja. Also wenn ich jetzt nein sagen würde, würde ich damit ja implizieren, dass ich möchte, dass das woanders gelagert wird, außerhalb Deutschlands. Das möchte ich auch nicht. Das ist schon so, dass wir – welches Wir? – dass der Staat die Verantwortung übernehmen muss, für das von ihm Verursachte. Häufig wird dabei versucht, uns in diese Verantwortung mit hineinzunehmen. Dann heißt es immer, dass wir alle zusammen jetzt irgendwie schauen müssen. Und dann sage ich immer: „Nee, ich hab kein Atomkraftwerk gebaut, ich habe mir damit auch nicht die goldene Nase verdient, ich habe, seit ich das selber entscheiden kann, keinen Atomstrom aus der Steckdose genommen!“ Das war eine meiner allerersten Entscheidungen, als Jugendliche. Ich wollte das nicht, ich will das immer noch nicht. Warum muss ich jetzt die Müllabfuhr spielen?
Anmerkung
Der Standort Würgassen für ein Abfall-Zwischenlager wurde
nach dem Interview fallengelassen.
[schließen]
Herausgeber
Anton Rusch
Redaktion und Gestaltung
Anton Rusch
Vielen Dank an die Interviewpartner*innen
Jörg Langenberg
Silke Westphal
Christin Selensky
Carsten Kawka
Ursula Schönberger
Vielen Dank
Jannes Ulbrich
Konstanze Schirmer
Jutta Tränkle
Klaus Neuburg
Simon Roth
Steffi Schlensog
Ludwig Wasmus
Max Präkelt
Betreuung
Bianca Kóczán
Jutta Tränkle
Klaus Neuburg
Typefaces
ABC Asfalt Edu &
ABC Favorit Edu von Dinamo Typefaces
Veröffentlichung
Die Website basiert auf dem Buch
RESONANZ ZUM ENDLAGER,
welches am 23.01.2024 veröffentlicht wurde. Das Buch entstand im Rahmen einer Bachelorarbeit im Studiengang Mediendesign
an der Ostfalia Hochschule für angewandte
Wissenschaften.
Die Website entstand als Projektarbeit im Master Transformation Design an der HBK Braunschweig.
© Anton Rusch
www.antonrusch.de
Kontakt
Telefon: 0176 41623432
E-Mail: info@antonrusch.de
Adresse: Schützenstr. 31, 38239 Salzgitter
Streitschlichtung Die Europäische Kommission stellt eine Plattform zur Online-Streitbeilegung (OS) bereit: https://ec.europa.eu/consumers/odr. E-Mail-Adresse finden Sie oben im Impressum. Wir sind nicht bereit oder verpflichtet, an Streitbeilegungsverfahren vor einer Verbraucherschlichtungsstelle teilzunehmen. Haftung für Inhalte Als Diensteanbieter sind wir gemäß § 7 Abs.1 TMG für eigene Inhalte auf diesen Seiten nach den allgemeinen Gesetzen verantwortlich. Nach §§ 8 bis 10 TMG sind wir als Diensteanbieter jedoch nicht verpflichtet, übermittelte oder gespeicherte fremde Informationen zu überwachen oder nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen. Verpflichtungen zur Entfernung oder Sperrung der Nutzung von Informationen nach den allgemeinen Gesetzen bleiben hiervon unberührt. Eine diesbezügliche Haftung ist jedoch erst ab dem Zeitpunkt der Kenntnis einer konkreten Rechtsverletzung möglich. Bei Bekanntwerden von entsprechenden Rechtsverletzungen werden wir diese Inhalte umgehend entfernen. Haftung für Links Unser Angebot enthält Links zu externen Websites Dritter, auf deren Inhalte wir keinen Einfluss haben. Deshalb können wir für diese fremden Inhalte auch keine Gewähr übernehmen. Für die Inhalte der verlinkten Seiten ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber der Seiten verantwortlich. Die verlinkten Seiten wurden zum Zeitpunkt der Verlinkung auf mögliche Rechtsverstöße überprüft. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar. Eine permanente inhaltliche Kontrolle der verlinkten Seiten ist jedoch ohne konkrete Anhaltspunkte einer Rechtsverletzung nicht zumutbar. Bei Bekanntwerden von Rechtsverletzungen werden wir derartige Links umgehend entfernen. Urheberrecht Die durch die Seitenbetreiber erstellten Inhalte und Werke auf diesen Seiten unterliegen dem deutschen Urheberrecht. Die Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und jede Art der Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtes bedürfen der schriftlichen Zustimmung des jeweiligen Autors bzw. Erstellers. Downloads und Kopien dieser Seite sind nur für den privaten, nicht kommerziellen Gebrauch gestattet. Soweit die Inhalte auf dieser Seite nicht vom Betreiber erstellt wurden, werden die Urheberrechte Dritter beachtet. Insbesondere werden Inhalte Dritter als solche gekennzeichnet. Sollten Sie trotzdem auf eine Urheberrechtsverletzung aufmerksam werden, bitten wir um einen entsprechenden Hinweis. Bei Bekanntwerden von Rechtsverletzungen werden wir derartige Inhalte umgehend entfernen.
Quelle: eRecht24
[schließen]